Freitag, 1. Juni 2012

Kriegsberichterstattung: „Kein schlimmerer Feind“

Wieder steht ein Krieg vor der Tür. Größer und noch weit gefährlicher als der gegen Libyen. Die Politiker und die Massenmedien der NATO überstürzen sich schon jetzt mit einseitiger und vorsätzlicher Desinformation in nie dagewesenem Maße. Bevor im TV auch der heiße Krieg wieder losgeht, empfehle ich die Lektüre eines Insiders. Sie hilft vor allem zu verstehen, wer da versucht uns hinter die vom Imperium errichtete Propaganda-Fichte zu führen. 

No Worse Enemy – The Inside Story of The Chaotic Struggle For Afghanistan

(Kein schlimmerer Feind - Die Insiderstory des chaotischen Kampfes um Afghanistan) – One World Publications 2011
In seinem Buch berichtet Ben Anderson, britischer BBC-Reporter und Filmemacher, offen und schonungslos über seine Erfahrungen mit eingebetteten Journalisten; mit Marines und GIs – nicht nur in Afghanistan.
„Auf Militärbasen habe ich gesehen, dass – wie ich dachte, abgebrühte - Veteranen Wutausbrüche hatten, weil sie kein eigenes Zelt bekamen, eine heiße Dusche oder ihren eigenen Helikopter. Die meisten Reporter verlassen den Luxus und die Sicherheit dieser Plätze so selten und so kurz wie möglich.“
Bei diesem und dem folgenden Zitat musste ich an den clownesken Jörg Armbruster von der ARD denken, der sich gerne mal theatralisch auf den Boden wirft, um dem Zuschauer in komischer Dramatik einen Helden vorzuspielen.
Gefährlicher Scharfmacher - Armbruster im Libyen-Feldzug 2011
„Ich habe viele Kämpfe gesehen, doch es gibt nicht viele Schlachten, egal wo, wo die Opferrate 1% übersteigt.“
Wir Journalisten wissen, wie schwer es ist aufgrund von Stellenkürzungen und „thematischer“ Vorgaben von oben, für Recherchen aus dem Haus, geschweige denn in den Flieger kommen, dessen Ticket vom Arbeitgeber bezahlt wird. Wer wagt sich da noch vor Ort „gegen den Redaktionsstrich“ objektiv zu recherchieren und zu berichten. Die Vorurteile sind gängige Praxis bestätigt Anderson:
„Es ist einfach, von der Recherche besessen zu werden, die du tatest bevor du in den Flieger gestiegen bist, und dann verblendet zu sein bei deiner Jagd, sie zu bestätigen.“
Wie Berichte aus dem Krieg zustande kommen:
„Ich wurde bedroht mit ‚schweren, schweren Problemen‘ falls ich eine der US-Einheiten aussehen lassen würde ‚wie Babymörder‘. ‚Es gibt einen einfachen Weg das zu stoppen,‘ gab ich zurück, ‚Tötet keine Babys,‘ was aber nicht half. Später filmte ich die gleiche Einheit dabei wie sie fast ein ganzes Viertel zerstörte, einschließlich einer Moschee, anstatt Sprengkörper, in einem langen und gefährlichen Prozess, der selten ohne Opfer ausgeht, zu beseitigen.“
„Ich wußte, dass die US-Marines sich nicht darum kümmerten, was jemand anders über sie dachte. Deshalb habe ich es immer geliebt, mit denen zu drehen, (im Gegensatz zum Filmen mit den Briten, welche immer von einem PR-Aufpasser verfolgt werden) aber dieser Grad von Abgebrühtheit war eher bestürzend, als dass das meinen Job erleichtert hätte. ‚Was,‘ musste ich denken, ‚machen die, wenn ich nicht hier bin?‘“
„Einst war ich eingeladen, ein Treffen mit einer afghanischen Familie in der Provinz Helmand zu filmen, der 10.000 Dollar Entschädigung gezahlt wurde; für vier Verwandte die getötet wurden als eine amerikanische Rakete deren Haus zerstörte. Nach dem Treffen lud mich die Familie ein, die Leichen zu filmen. Aber als sie das blutbefleckte Tuch zurückschlugen nahm ich meine Kamera herunter, legte meine Hand auf mein Herz, dankte Ihnen und ging weg, denkend das ich bereits genug in deren Schmerz eingedrungen war. Ich hätte es filmen sollen und sie ihre Geschichte in ihrem ganzen Schrecken zeigen lassen; ich war der einzige Zensor.“
„Ich betrachtete die Meute an der Bar und dachte ‚Wenigstens bin ich unter Helden‘. Ein paar Tage später erkannte ich, dass ich unter betrunkenen, deprimierten und zynischen Schreiberlingen war, die vor ihrem miserablen Familienleben, gescheiterten Karrieren, Rechnungen, Regeln, Gesetzen oder ihnen selbst davonliefen. Die meisten Kriegsreporter sorgen sich mehr darüber, wie sie ihren Rivalen schlagen können, als darüber eine wichtige Story zu erzählen. Falls nicht, würden sie für ‚Ärzte ohne Grenzen‘ oder UNICEF arbeiten.“
„Ich kenne einen Reporter der in jedes Krankenhaus im Süden von Irak rammelte, das er finden konnte; auf der Suche nach einer Vierfachamputation, nachdem ein Rivale einen Bericht über einen kleinen Jungen, der alle vier Gliedmaßen in einem Luftangriff verlor, brachte. Leider wir sind oft einfach nur Geier.“
„Die Öffentlichkeit hat zögernd entschieden, dass unsere Truppen nach Hause kommen sollen und so hat sich ihr Interesse in Luft aufgelöst. Wenn sie einst zurück sind, wird sich Afghanistan wieder in Luft auflösen und du wirst wahrscheinlich keinen finden, der dich wieder dorthin schickt; unabhängig davon wie gut du bist. Vergiss es, die Welt zu verändern: Du wirst selten genug das Denken ändern."
„TV-Shows übers Kochen bekommen wahrscheinlich doppelt so viele Einschaltquoten, doch ohne Kriegsreporter würde die Welt zweifellos ein noch viel schlimmerer Platz sein. Für mich ist das einstweilen genug.“
Lieber Ben Anderson, 
Ihr Wort in Gottes Ohr und Ihr Buch „for best seller“. Leider bestätigen die Erfahrungen der letzten Jahre mit den Aktivitäten ihrer/unserer Kollegen in Libyen und Syrien das Gegenteil. Eingebettete Reporter - ob von Al Jazeera, CNN, BBC, ARD, ZDF oder RTL - singen das Lied desjenigen, dessen Brot sie essen. Dieser Sirenengesang besteht aus Indoktrination, Lügen, Verdrehungen und vor allem aus Rechtfertigungen der Völkerrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen der NATO, der UNO (!) und ihrer Vasallen. Doch einstweilen sollten wir zeigen wie die Lügen zustande kommen und wer dahinter steckt. Das ist mir einstweilen genug - für heute.


Buchempfehlung
Ben Andersons Tatsachenbericht

No Worse Enemy – The Inside Story of The Chaotic Struggle For Afghanistan

liegt bisher leider nur in Englisch vor. Wie bei vielen Büchern aus dem Ausland über die Gräßlichkeiten der NATO-Kriege gibt es keine deutsche Übersetzung. "Eiserner Vorhang" nannte der arrogante Westen das einst beim nun verschwundenen Gegner im Osten.
Im Herbst kommt die erschwingliche Taschenbuchausgabe heraus. Mit Schulenglisch und Wörterbuch lässt es sich trefflich lesen. Die obigen Zitate sollten genug Lust aufs Lesen machen.